Stellen Sie sich vor:
a) Sie sind SchülerInnen einer Hauptschule, die gestern im Unterricht gestört haben und von der Lehrerin heute zur ersten Stunde bestellt werden. Lassen Sie sich überraschen davon, was Sie mit dieser speziellen Lehrerin erleben.
Oder:
b) Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind in der Pubertät, das es schwer hat in der Schule und manchmal den Unterricht stört. Lassen Sie sich überraschen davon, wie eine Lehrerin mit dieser Situation umgeht.
„Es macht mir wirklich Freude, zu sehen, wie die Gesprächsbereitschaft meiner „pubertierenden“ Schüler sich deutlich verbessert, wenn uns diese Kärtchen (die Gefühlsmonster®-Karten) Starthilfe bieten, vor allem scheint sich die Situation jeweils spürbar zu entspannen, wenn sie dies zuvor eben nicht war.
Dienstags habe ich nur nachmittags Unterricht, habe dann aber immer alle Hände voll zu tun, vornehmlich meine Jungs wieder auf ein Normalmaß an Aufmerksamkeit zu bewegen, da sie sich regelmäßig am Vormittag mit etlichen Mitschülern, Kollegen wie Kolleginnen gerieben und den persönlichen Frust „hoch gepumpt“ haben.
Bei drei Schülern gelang mir das nur schlecht, weshalb ich sie für mittwochs in der ersten Stunde, auch wenn ich dadurch selbst eine Stunde früher aufstehen muss, zu einem Extragespräch mit mir eingeladen hab. Bestellt hab, sagen sie.
Da saßen sie also mit mürrischen Gesichtern morgens im Klassenzimmer. Ein Junge, ganz neu bei uns in der Klasse, ein weiterer Junge und ein Mädchen. Alle drei hatte ich das erste Mal mittwochmorgens in die Schule gebeten. Gottlob ist Brenda (meine Hündin, immer im Unterricht anwesend) für solche Situationen der Stimmungsaufheller. Sie ist, während ich meinen Mantel an die Garderobe hänge, erstmal zum Schmusen unterwegs. Ich komme zurück, die Gesichter noch verschlossen, aber nicht mehr so verstockt. Gespannt, was kommt, sind meine Jungs und das Mädchen erstmal überrascht, dass sie sich zusammensetzen sollen und ich mich hinzugeselle. Jeder bekommt von mir ein Kartenset mit der Aufforderung, es vor sich auszubreiten und sich eine Karte auszusuchen, die am ehesten ihrer momentanen Stimmung entspreche. Die Gesichter entspannen sich merklich.
Sie sollen einander das ausgewählte Kärtchen nicht zeigen, sondern das Gefühl des abgebildeten Kerls so genau beschreiben, dass wir rauskriegen, welche Karte gewählt worden ist.
Der erste Junge wählt spontan die Nr. 16 und prustet auch schon los, dass der Kerl zornig ist und eine Wut hat, wahrscheinlich, weil er wie ich Nachsitzen hat und keinen Bock drauf hat und weil er sich ärgert, dass er früher hat aufstehen müssen. Wir haben alle auf die Nr. 16 getippt und er bestätigte das grinsend.
Das Mädchen entscheidet sich für Nr. 20, sie sei jetzt aufgeregt und gespannt und auch ängstlich, was jetzt „abgehen“ würde. Und der zweite Junge nimmt sich Nr. 9, weil er ein bisschen ängstlich und gestresst ankam, aber auch Langweile und Null-Bock spürte.
Wir reden über ihre Aufstehgewohnheiten, weshalb es blöd sei, früher als nötig da zu sein. Ich erfahre vom Stress zu Hause im Badezimmer. Die Drei reden inzwischen sehr entspannt und ohne Groll. Wir kommen zum Thema Störaktionen im Unterricht, wie es wohl dazu kam oder oft komme, was vielleicht hinter ihrem Stören stecken könnte.
Ich bitte die Schüler, ein Kärtchen auszusuchen, das vermutlich zu mir und meinen Gefühlen während des gestrigen Unterrichts gepasst haben könnte. Einer meint Nr. 7 („Vielleicht haben Sie gedacht, das ist ja zum Verzweifeln“). Das Mädchen wählt Nr. 9 („Vielleicht waren Sie enttäuscht von uns“) und der andere Junge entscheidet sich für Nr. 10 („Sie waren bestimmt erstaunt und verblüfft und ein bisschen ärgerlich“). Sie waren sehr erstaunt zu erfahren, dass ich mich äußerst genervt und am Ende der Stunde erschöpft gefühlt hätte und mich nach Ruhe gesehnt hätte (21). Sehr irritiert schauten sie mich daraufhin an, die Drei.
Wir überlegten noch, wie wir einander entgegen kommen könnten, was sie und ich konkret verändern oder wenigstens versuchen könnten. Da unsere Stunde schon fast gleich zu Ende war, bat ich sie noch, ein Kärtchen für den jetzigen Gemütszustand zu wählen und dann ganz kurz aufzuschreiben, was in der Stunde eigentlich „passiert“ sei.
Mein „Zorniger“ entschied sich spontan für die Hängematte Nr. 5 , das Mädchen für Nr. 24 und der andere Junge griff nach Nr. 11.
Besonders schön find ich die Texte, die sie ohne jedes Stöhnen in vielleicht fünf Minuten geschrieben haben (ich hab die Texte der Authentizität wegen mit den Rechtschreibfehlern und sprachlichen Besonderheiten abgetippt):
„Als erstes habe ich mich gelangweilt gefühlt und stresig und ein bischen ängstlich. Aber doh woh ich es wuste was wir machen, dah ging es mir schon ein bischen beser am Ende dah hab ich mich Für das Fröhlige entschieden“.
„Wir haben in der Stunde gesprochen wie wir uns am Anfang Gefühlt haben und wie sich Frau Braun gestern in der Stunde gefühlt hat. Wir haben über Sachen geredet und wie es uns in dem Moment ging. Wir haben geredet wieso es so war“.
„In dieser Stunde habe ich mit Tom und Michael Karten ausgesucht und auf denen waren so kleine Monster drauf die zeigen jede Gefühlsart. Am Anfang hab ich einen Zornigen ausgesucht, weil ich wütend war zur 1st zu kommen obwohl ich zur 2nd Schule gehabt hätte. Mein 2tes Kärtchen war ein Typ der auf einer Hängematte liegt, weil ich mit den anderen darüber geredet habe (meine zornigen Gefühle) und ich mich jetzt entspannt fühl“.
In der zweiten Stunde oder ersten regulären Unterrichtsstunde arbeiteten diese drei Kinder über ihr jeweiliges Normalmaß hinaus im Unterricht mit, was zwar nicht den Vormittag, aber doch eine ganze weitere Stunde anhielt.“
Autorin: Aus Gründen der Vertraulichkeit gegenüber den beteiligten SchülerInnen haben wir uns entschieden, den Namen der Lehrerin nicht zu nennen – er ist uns selbstverständlich bekannt. Für einige von Ihnen wird es interessant sein, zu erfahren, dass zwei von den drei Jugendlichen, von denen Sie hier erfahren haben, nicht-deutscher Herkunft sind.