Anfang August 2019 hatten wir die Gelegenheit, mit Frau Zschüttig, pädagogisch-therapeutische Mitarbeiterin des ifgg, Institut für genderreflektierte Gewaltprävention, in Berlin über ihre innovative Arbeit mit Eltern in Haft und zu Ihrem Einsatz der Gefühlsmonsterkarten zu sprechen:
„Das ifgg Berlin ist seit 13 Jahren im Bereich der Jugendhilfe tätig mit dem Schwerpunkt auf TESYA®-Trainings für Jugendliche, Fortbildungen zu Deeskalation und zur professionellen Präsenz, Elterncoachings nach Haim Omer, Supervision für Fachkräfte und seit 5 Jahren Präfix R – Coaching für Eltern in Haft. Das Institut arbeitet systemisch, d.h. unter aktiver Einbeziehung des individuellen Kontextes der Klient*_innen in den Coachings, also z.B. auch mit Eltern, Familie und Schule.
Ein besonderes Projekt des ifgg ist PräfixR, ein Coaching-Programm, speziell entwickelt für inhaftierte Eltern in Berlin und Brandenburg.
Präfix R liegt die Idee zugrunde, dass sich eine fokussierte systemische pädagogisch-therapeutische Arbeit mit Eltern in Haft radikalisierungspräventiv auf deren Kinder auswirkt. Eltern sollen dabei unterstützt werden, die Bindung zu ihren Kindern während der Haft – also in einer Zeit, in der sie im Alltag nicht für sie da sein können – zu stabilisieren oder auch wieder neu aufzubauen. Während der Coachings werden mit den Eltern Strategien erarbeitet, wie sie Erziehungsanforderungen während der Zeit ihrer Inhaftierung gut bewältigen und konflikthafte Situationen lösen können. Des Weiteren werden die Mütter und Väter darin unterstützt, eine für die Kinder förderliche Elternschaft mit dem*_der (Ex-)Partner*_in zu gestalten.
Das Coaching besteht aus ein bis zwei Vorgesprächen, zehn Coaching-Sitzungen (Einzel- und Gruppengespräche sowie Gespräche mit Angehörigen und Kindern) und ein bis zwei Nachtreffen nach Abschluss des Prozesses. Die Teilnahme ist für die Inhaftierten freiwillig, wobei die Nachfrage größer ist als das Angebot. Interessierte Eltern melden sich für das Programm in der Haftanstalt an und werden über die Vorgespräche unter sorgfältiger Prüfung ihrer Motivation ausgewählt. Damit erreicht das Projekt eine hohe Abschlussquote und Teilnehmerzufriedenheit. Die Möglichkeit, „sich mal was von der Seele reden“ zu können, und zwar speziell in ihrer Rolle als Eltern und Erziehende wird, laut Frau Zschüttig, von den Teilnehmenden auch als etwas Besonderes wahrgenommen.
Die Gefühlsmonster-Karten sind fester Bestandteil der Arbeit mit den Inhaftierten. Ob als Brücke zur Gesprächseröffnung, als Hilfe bei der Verbalisierung von Gefühlszuständen und Befindlichkeiten, als Teil der Coachings mit den Kindern und Angehörigen oder zum Gesprächsausklang. Dabei werden die „Monster“ von den Inhaftierten durchweg positiv angenommen. Frau Zschüttig: „Ich habe es bisher eigentlich nie erlebt, dass ein Vater oder eine Mutter kam und sagte, sie*_er hätte keine Lust auf die Karten.“
Das liegt ihrer Erfahrung nach zum einen daran, dass die gezeichneten Darstellungen im Vergleich zu anderen, fotorealistischen Bildkarten als wenig aufdringlich wahrgenommen und auch von Klient*_innen mit einem weniger stark ausgeprägten Assoziationsvermögen intuitiv verstanden werden. Dazu hilft die Differenziertheit der Gefühlsmonster-Karten, die eigene Verbalisierungsfähigkeit von Gefühlen zu unterstützen.
Zum anderen ist die Arbeit mit den Karten auch eine sinnliche, haptische Erfahrung, „etwas zum Anfassen und Festhalten“. Das gibt vielen Eltern in Haft Sicherheit in den Gesprächen und eine nachvollziehbare Struktur. Die Bilder selbst bieten dazu oft schon einen ersten Gesprächsanlass. Die „Monster“ werden damit schnell zu einem Ritual, nach dem die Klient*_innen auch explizit fragen – „‘Wo sind die Karten, Frau Zschüttig?‘, wenn ich sie mal nicht gleich herausgeholt habe.“.
Schwierigkeiten gibt es, laut Frau Zschüttig, manchmal mit dem Umstand, dass die Karten keine vorgefertigten Bedeutungen haben. Gerade Inhaftierte, die einen gewissen Erfahrungsschatz mit psychologischen und psychiatrischen Evaluationen mitbringen, vermuten in den Karten manchmal ein weiteres Instrument, mit dem der_die Coach*_in den*_die Klient*_innen „durchschauen“ möchte. Diesem gelegentlichen Misstrauen den Karten gegenüber – „Ich weiß ja nicht, was die Karten für eine Bedeutung haben.“ oder „Und, Frau Zschüttig, was sagt Ihnen das jetzt über mich?“ – wird im Coaching mittels einer geduldigen Aufklärung zur grundsätzlich freilassenden Art der Karten begegnet.
Oft fragen Klient*_innen während der Arbeit mit den Gefühlsmonstern, ob sie die eine oder andere Karte für sich mitnehmen dürfen – eine Inhaftierte überraschte mit der Aussage, dass sie sich so ein Monster (die Nr. 8, das „Teufelchen“) sofort auch tätowieren lassen würde!
Zum Abschluss der Coachings bekommen Klient*_innen dann oft eine Postkarte mit einem ihrer Lieblingsmonster geschenkt – etwas ganz Besonderes! Und so können die Gefühlsmonster auch in der Nachbetreuung vielleicht noch ein kleines bisschen dazu beitragen, dass das Gelernte erinnert und verankert wird.“
Unser herzlicher Dank gilt dem ifgg, das diesem Interview zugestimmt hat und insbesondere Frau Zschüttig für ihre Zeit und die lebendigen Einblicke in ihre engagierte Arbeit.