Gefühle-Letter Nr. 68: „Angst als Kraft“

Wie kann Angst eine Kraft sein, habe ich mich gefragt. Wo sie doch oft verhindert, dass wir etwas tun. Nr. 14Eben, weil wir Angst haben.

Angst in ihrer Schattenversion führt zu einer Lähmung. Wir fühlen uns gefangen. Wenn wir darauf bestehen, dass es dies angstauslösende Etwas garnicht geben sollte, sitzen wir fest in der Angst. Vivian Dittmar nennt das „eine Beschwerde bei Gott eingeben“:

Das ist nicht in Ordnung, das sollte so nicht sein, auf gar keinen Fall!

Damit setzen wir uns fest und verschließen uns der Erfahrung die uns begegnet.

Unsere Interpretation der angstauslösenden Situation ist: „Das ist furchtbar!“

Wir können etwas nicht so annehmen, wie es ist, und wissen nicht, wie wir es ändern können.

Wir brauchen Angst, um mit Gefahren gut umzugehen. Ohne Angst können wir nicht überleben, nicht einschätzen, ob wir in einer Situation bleiben oder uns daraus entfernen wollen. Angst aktiviert unsere körpereigenen Ressourcen.

Unsere Aufgabe, wenn wir Angst haben, ist, dem Unbekannten zu begegnen. Mit diesem Gefühl in Beziehung zu treten, zuzulassen, dass wir dieses Gefühl spüren.

Angst in ihrer kraftvollen Form hilft uns, dem Neuen offen zu begegnen. Sie hilft uns „kreativ zu sein, Abenteuer zu erleben, Auswege und Lösungen zu finden, uns zu entwickeln, über uns selbst hinauszuwachsen.  Zu wenig Angst macht unverwundbar, unauthentisch.“ (Zitat aus  Zeitschrift woman „Hallo, wir sind Ihre Gefühle“)

Unverwundbar können wir nur sein, wenn wir unsere Gefühle nicht zulassen, sie nicht spüren. Der Gewinn aus der Arbeit mit unseren Gefühlen ist eben auch, dass wir durch das Durchleben von sogenannten schwierigen Gefühlen stärker werden, das Leben mehr lieben, uns dem, was unerwartet auf uns zukommt, eher gewachsen fühlen. Und vor allen Dingen in der Lage sind, immer mehr auch spüren zu können, wenn es uns gut geht, wir Freude erleben, glücklich sind.

Auf diese Weise erwerben wir uns emotionale Kompetenz, die Grundlage dafür, beziehungsfähig zu sein und im Beruf mit Anderen gute Arbeitskontakte aufzubauen.

Zum Abschluss noch eine Geschichte aus der griechischen Mythologie (aus dem Buch meiner lieben Kollegin Hanna Milling: „Storytelling – Konflikte lösen mit Herz und Verstand“, Seite 215 ):

Herkules und die Bestie

Als Herkules eines Tages auszug, um seine zwölf Prüfungen zu bestehen, wurde er auf dem Weg von einem recht kleinen, seltsam aussehenden Wesen überrascht, das plötzlich seinen Kopf hob und ihn zähnefletschend bedrohte. Herkules reagierte damit, das wilde Tier mit seinem Knüppel anzugreifen. Zu seinem Erstaunen rannte die Bestie nicht etwa davon, sondern wuchs um das Dreifache an und wurde noch bedrohlicher. Er schlug erneut mit seinem Knüppel zu, diesmal mit doppelter Kraft. Doch umso härter und stärker er zuschlug, desto größer wurde die Bestie, bis sie zu einem Monster wurde, das die ganze Straße blockierte.

Plötzlich erschien die Göttin Athene an seiner Seite. „Halte inne, Herkules!“, rief sie.“Siehst du denn nicht? Wenn du die Bestie schlägst, wird sie immer größer werden. Wenn du aufhörst blind auf sie einzuschlagen und dich für sie interessierst, wird sie zu ihrer natürlichen Größe zurückkehren.“

Es geht also um eine offene Haltung dem gegenüber,  was sich da Erschreckendes zeigt. Sie erinnern sich vielleicht: Sobald wir uns auf ein Gefühl wirklich einlassen, uns trauen, es zu spüren, kann es sich allein durch die Annahme transformieren – und wir sind schneller wieder in einem entscheidungs- und handlungsfähigen Zustand. (Zum Nachlesen: Gefühle-Letter Basis 1)