Gefühle-Letter Nr. 65: „Wut als Kraft“

Welches wenig bekannte Gefühl hatten Sie für Ihre Beobachtung in dieser Woche ausgewählt? Wie ist es Ihnen ergangen? Haben Sie einen Freund/eine Freundin gefunden, um über Ihre Erfahrung damit zu sprechen?

Vivian Dittmar (siehe ihr Buch „Gefühle und Emotionen“ und das Gespräch aus dem Gefühle-Letter Nr. 64) nennt Wut, Angst, Trauer und Scham das Rüstzeug für schwierige Situationen. Diese Gefühle sind bei ihr die Brücke zwischen unerfüllten Bedürfnissen und ihrer Erfüllung und damit ebenso wichtig wie die angenehmen Gefühle. Ein bewusster Umgang mit ihnen erlaubt uns, sie so einzusetzen wie es in unserem Sinne ist, anstatt ihnen ausgeliefert zu sein.

N Sauer 4Heute geht es um Wut. Dazu sagt sie folgendes:

  • Wut entsteht, wenn uns etwas so, wie es ist, nicht passt. Unser Körper wird von Adrenalin überflutet, wir sind in Aktionsbereitschaft.
  • Unbrauchbar in Situationen, auf die wir keinen Einfluss haben.
  • Wir brauchen Wut, um klar Ja oder Nein zu sagen, Entscheidungen zu treffen, ernst genommen zu werden, vital und aktiv zu sein, zu wissen, was wir wollen.
  • Gelingt es uns, in die Handlung, in ein Engagement zu gehen, klar zu sagen, was uns nicht passt, wird das Adrenalin in der Handlung abgebaut und wir bleiben gesund.N Zufrieden 4

 

 

Vielleicht kennen Sie den Ausspruch von Vera Birkenbihl „Ärger ist schlecht für‘s Immunsystem“? Damit ist genau der Ärger gemeint, der nicht in Handlung übersetzt wird.

Wut verdrängen, nicht zulassen, schadet Ihrer Gesundheit und führt zu dem Gefühl des Opfer-Seins, aus dem heraus wir dann Dinge tun oder sagen, die jenseits einer kraftvollen, klaren Handlung sind.

Schauen Sie doch einmal in der kommenden Woche, wann Sie wütend werden und in welchem Zusammenhang. Ob Sie unterscheiden können, ob das ein Ärger über etwas ist, das Sie ändern können, oder über etwas, auf das Sie keinen Einfluss haben.

Über die Ausführungen von Vivian Dittmar ist mir klar geworden, warum der Ärger über Warteschlangen bei Servicetelefonen oder über nicht funktionierende Software so besonders groß und gleichzeitig unbrauchbar ist:

  • meistens haben wir keinen Einfluss, weder auf die Zeit, die wir in der Warteschlange verbringen noch darauf, ob wir auf einen kompetenten Ansprechpartner treffen oder nicht.
  • Unsere Handlungen verlaufen unter Umständen ins Leere oder werden nicht gehört.

Was tun, in einer solchen oder anderen Situationen, an denen wir nichts ändern können?

Was wir immer tun können ist, dafür zu sorgen, dass wir das Adrenalin abbauen, das uns überflutet N Top-fit 4hat. Das geht über Bewegung: ein schneller Lauf auf der Stelle oder auf einer Treppe, fünf Minuten tanzen zu Ihrer Lieblingsmusik , Fahrrad fahren o.ä. – so vermeiden Sie schädliche Auswirkungen und nehmen gleichzeitig Ihre Wut ernst.

 

Eine andere schädliche Folge von Wut ist Auto-Agression – Ihren inneren Kritiker haben Sie sicher schon kennen gelernt, und die meisten von uns haben eine Erziehung genossen, die das Unterdrücken von Wut eher gefördert hat.

Dazu ein Zitat aus einem meiner Lieblingsbücher von Jorge Bucay „Komm, ich erzähle dir eine Geschichte“. Hier erzählt er die Geschichte vom Ziegelstein. Da geht es um einen Mann, der aus Ärger Ziegelsteine auf andere wirft und in seinem Bemühen, damit wenig Arbeit zu haben, diese selbst an den Kopf bekommt…..

Dafür findet Bucay sehr klare Worte:

Einen solchen Mechanismus nennt man Retroflexion. Dabei handelt es sich im großen und ganzen darum, andere vor unserer eigenen Aggression zu bewahren. In solchen Fällen hält unsere aggressive feindliche Energie, bevor sie den anderen erreicht, vor einer Barriere inne, die wir uns selbst auferlegt haben.

Diese Barriere fängt den Aufprall nicht ab, sondern schickt die Energie einfach retour. Und all die Wut, der Missmut, all die Aggressionen fallen auf uns selbst zurück in Form von echtem autoaggressivem Verhalten, wie Selbstverstümmelung, Fressanfällen, Drogenkonsum oder übertriebener Risikofreude, und in anderen Fällen über unterdrückte Gefühle oder Emotionen, wie Depressionen, Schuldgefühle oder psychosomatische Erkrankungen.

Sehr wahrscheinlich würde ein aufgeklärtes menschliches Phantasiewesen, das ein bisschen auf Draht ist und fest im Leben steht, nie wütend werden. Es wäre natürlich wunderbar, wenn man sich gar nicht erst aufregen müsste, und trotzdem:

Wenn Wut, Hass oder Überdruss einen überkommen, ist der einzige Weg, sie wieder loszuwerden der, sie in Handlung umzusetzen. Das Gegenteil bewirkt früher oder später nur, dass man wütend auf sich selbst wird.“

N Hmmmmmm.. 4In diesem Sinne: es lohnt sich, die eigene Wut kennen zu lernen, sich ein wenig mit ihr anzufreunden, damit wir sie erkennen und entsprechend der Umstände handeln können!